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Die Krise der Gegenkultur

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“The counterculture’s gone”, stellt der amerikanische Kulturwissenschaftler Larry Grossberg schon seit längerem fest. Mit Wehmut, denn damit war er gezwungen, einer der zentralen Säulen seiner Forschungsarbeit beim kontinuierlichen Auflösen in der Allgegenwärtigkeit zusehen. Die Gegenkultur ist also nicht nur in der Krise, sie ist verschwunden – in ihrer eigenen Omnipräsenz.

Pop vor/nach der Krise

Larry Grossberg präsentierte im Rahmen des IFK Podiums Pop and Politics before/after the Crisis Mitte April in Wien sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch »We gotta get out of this place. Rock, die Konservativen und die Postmoderne« von 1992. Und die Konservativen sind auch Schuld an dem Debakel. Die “Rechten”, wie Larry Grossberg das in den “fuzzy terms” der politischen Dichotomie der USA formuliert, hätten nämlich ihre Lektionen in Sachen Gegenkultur gelernt. Die Gegenkultur, diese subversive Kraft, die sich aus der Konformität und der Angstkultur der 1950er Jahre heraus emanzipiert hätte, der affektive Charakter und die libidinösen Elemente des Rock wären gegenwärtig von den konservativen Kräften absorbiert worden und dienten zur Absicherung ihrer Hegemonie, so seine These.

Politik der Rockformation

“Here we are living in paradise” könnte man Elvis Costello zitieren. Hier sind wir also angekommen, in einer Welt, in der alles frei verfügbar scheint, und in der es sich für die weiße, mittelständische Bevölkerung des Westens nicht mehr lohnt, die Befreiungsrhetorik des Rock ‘n’ Roll – gegen all das Starre, das Etablierte und das Stehende – mitzusingen, weil sie längst frei ist. Gescheitert ist das politische Projekt Rock aber deshalb nicht, denn es war nie politisch, so Grossberg: “Music is not an ideology as Gramsci described it, it is more an emotional experience of the world.” Aber Konzepte von Differenz und Diversität ortet Grossberg im Rock, der für ihn einerseits ein Medium der Identifikation war und andererseits – im Sinne von “winning consent” – für die Rekrutierung einer neuen Bewegung sorgte. Man wollte Teil einer soziokulturellen Formation sein, “Sex, Drugs and Rock ‘n’ Roll” waren der Einstieg dorthin.

Unter den Voraussetzungen einer anderen Formation, der des Neoliberalismus, sei all das verloren gegangen. Zwar stellt Grossberg die Dominanz, die dem Neoliberalismus aktuell zugeschrieben wird, in Frage: “Es hält sich niemand daran”, andererseits würden der Popkultur aber die Antworten darauf fehlen. In einer stark liberalisierten Wirtschaft, in der Prostitution, Abtreibung, Drogen, etc. zu einem Markt geworden sind, hätte auch der illegale Akt im Sinne von Gegenkultur an Schlagkraft verloren. In Zeiten, in denen sich amerikanische Präsidenten mit Bruce Springsteen schmücken, der Highway-Rowdy Dennis Hopper die wilde Maschine in einen sportlichen Dreitürer der Marke Ford eintauscht, oder in denen etwa der kanadische Premierminister samt Familie beim »Top Rock Export« Nickelback abrockt (The Vancouver Sun – Artikel archiviert), hat auch Larry Grossberg sich langsam zurückgezogen. “I don’t watch TV anymore. It’s shit.”

Gegenkultur heute

Auch was die aktuelle Popkultur angeht, scheint er etwas ratlos: “I’m 62 years old, I don’t understand the popular culture anymore.” Trotzdem nennt er zwei “vitale” kulturelle Phänomene. Einerseits die “Techno Utopians”, die er aber auf Grund ihrer unreflektierten Technophilie und ihrem Desinteresse an Politik ablehnt, und als zweites die Anti-Globalisierungsbewegung. 450.000 Gruppen würden von ihr weltweit existieren, aber leider unsichtbar, so Grossberg. Ihnen fehle es an einer generellen Identität: “It has no culture.” Ein Freund von ihm, der an der Organisation der Seattle Proteste von 1999 beteiligt war, erkundigte sich im Vorfeld der Ministerkonferenz bei Grossberg nach einem Song, der die heterogenen Protestgruppen mobilisieren sollte. Grossberg fiel nichts ein, auf das sich alle einigen können würden, schließlich empfahl er ihm U2.

Für Grossberg hat die Krise des Teamworks zwischen der Linken und der Popkultur schließlich drei Gründe. Es fehle an Authentizität, es gäbe kein Außen außerhalb des Kapitalismus und keinen Generationenclash mehr.

Mythos Rock

In direkter Reaktion of Grossberg zeichnete die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser ein weniger romantisierendes Bild vergangener und gegenwärtigen Popkultur. Für sie sind die Freiheitsversprechen und Utopien des Rock zur grausamen Begleitmusik in den Ohren amerikanischer Soldaten beim Töten im kriegerischen Dienste der Nation mutiert. In Anlehnung an Thomas Franks »Conquest of Cool« dekonstruiert sie den historischen Begriff den Gegenkultur an sich und findet auch in der aktuellen Rockmusik wenig politisches Potential: “Jede Artikulation von Rock ist gegenwärtig ein Rückgriff auf die Mythen einer rebellischen Vergangenheit.”

Was von diesem Abend blieb ist der Eindruck, dass die Krise des Begriffpaars Pop/Politik nicht nur eine Krise einer emanzipativen, linken Popkultur ist, sondern auch eine Krise einer wissenschaftlichen Disziplin, die mit einen Begriff der »Gegenkultur« mit seiner Kopplung an »Subversion« und »Minderheit« verwoben ist. In Zeiten, in denen traditionelle Begriffe des Rock ‘n’ Roll – wie etwa Authentizität, Nonkonformität, Kreativität, Individualität oder Rebellion – zu neoliberalen Imperativen geworden sind, wirkt es ein wenig, als ob die Verfechter eines Konzepts von »Gegenkultur« die Seiten gewechselt hätten. “Old Guys Rule!” stand auf Larry Grossbergs schwarzem T-Shirt. Vielleicht, versehentlich die Seiten gewechselt.

Dieser Artikel ist am 14. Mai 2010 bei MALMOE (on the web) erschienen. MALMOE on the web


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